Anna
...oder: Im Rad der Zeit hat alles seinen Sinn
Es ist August. Mein Geburtstag steht vor der Tür. Fragen des Sinns oder besser des Unsinns und des Lebens gehen mir immer wieder durch den Kopf. Das vergangene Jahr ist mir schwer gefallen.
Probleme und Herausforderungen wechselten sich immer wieder ab. Kaum fühlte ich mich in Frieden, hatte die Probleme gelöst und meinen Seelenfrieden wieder, wünschte ich das, was dann war, festzuhalten.
Aber immer wieder gab es etwas Neues, das mich in die Tiefe riss und Zweifel haben meinen Verstand aus dem normalen Denken heraus und brachten mich in Zwiespalt brachten.
Ich wollte aber nicht aufgeben und hatte immer wieder Hoffnung, denn schlimmer konnte es ja eigentlich nicht kommen. Oder sollte es immer so weiter gehen? Irgendwann sollte doch einmal alles gut werden. Wieder und wieder mußte ich meine Hoffnungen verschieben. Ich glaubte, wirklich alles getan zu haben.
Mein innerer Frieden war nicht mehr vorhanden, sank in einen Morast ohne Grund.
Resignation hatte mich eingeholt. Mein Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein waren aufgelöst.
Seit Juli fühlte ich mich auch körperlich nicht mehr fit. Eine Sommergrippe nahm mir Kraft, ich hustete ständig, konnte in der Nacht nicht mehr gut schlafen, so dass ich morgens völlig gerädert war. Dazu störten mich auch noch heftige Schmerzen im linken Kiefer. Ich war genervt, wollte am liebsten allen und allem „etwas husten“ und hatte wahrhaftig keine Lust mehr, ständig auf die Zähne zu beißen.
Aber was getan werden muss, muss getan werden. Ich entschloss mich, zuerst einmal zum Zahnarzt zu gehen. Der Backenzahn war völlig in der Wurzel vereitert und nicht mehr zu retten. Ich war frustriert, dachte an meine Großmutter mit ihren Zähnen abends im Glas: „Zähne wie Sterne – nachts kommen sie heraus!“
Es wurde mir eng in der Brust, der Husten löste sich nicht, obwohl ich schon weniger rauchte. Wohl oder übel stand damit nach drei Wochen fest, dass ich mich untersuchen lassen musste, denn so konnte es auch nicht weiter gehen. Antibiotika und Kortisonspray waren die Folge. Meine körperlichen Symptome besserten sich langsam, aber meine Stimmung war nun wirklich auf dem Nullpunkt.
Meine Lustlosigkeit, irgend etwas zu tun, konnte ich nur mit „Lucky“ überwinden. Mein neuer Babyhund war ein fröhlicher Kerl. Ich hatte ihn mir ganz klein geholt, weil ich wusste, dass ich mich dann noch lange um etwas kümmern musste, eine Verantwortung hatte und dieser auch nachkommen würde. Ich würde ihn erziehen müssen, ihn füttern, Gassi und zum Tierarzt mit ihm gehen und tun, was zu tun ist.
So hatte ich in dieser Zeit die Möglichkeit, meine belastenden Gedanken zu vertreiben. Aber, dass das nur eine Verdrängung war, wurde mir erst später bewust. Im letzten Jahr hatte ich einen anderen großen Hund. Statt dass ich mit ihm durch den Wald ging, kam es mir es aber immer wieder so vor, dass er mit mir durch den Wald ging. Er war zu groß für mich. Dennoch trauerte ich um ihn, nachdem Hans ihn mitgenommen hatte. Der Hund zuvor hatte mich vierzehn Jahre begleitet.
Vor einem Jahr war Hans, nachdem er zu arbeiten aufgehört hatte, in den Süden gegangen. Ich sollte mitgehen, wollte aber in der Umgebung hier bleiben. Hier waren meine Wurzeln, meine Heimat, meine Freunde, hier war ich zu Hause. Er war jetzt wieder da und wollte noch einmal neu anfangen. Ich war voller Fragen und Zweifel und wusste nicht, was ich tun sollte.
In der Zwischenzeit, nachdem ich mich damit abgefunden hatte und mir auch klar war, dass auch diese Beziehung gescheitert war, hatte ich Martin kennengelernt. Er war zwar äußerlich nicht der Mann meiner Träume und wollte mich anfangs zu sehr in seine Familie einbinden, aber auf der seelischen und freundschaftlichen Ebene gut für mich. Eine Nähe, die ich immer wieder genießen konnte ohne mich gefesselt zu fühlen. Er gab mir Vertrauen und Geborgenheit. Ich konnte mich außerdem auf ihn verlassen, und das war mir auch wichtig.
Ich war jetzt hin- und hergerissen und hatte Zweifel. Ich wußte nicht, welche Entscheidung ich treffen sollte. Hans oder Martin, Martin und Hans? Der Eine schon zu weit weg, eigentlich schon Jahre, wie ich es ja eigentlich wusste aber nicht wahr haben wollte, der andere vielleicht etwas zu eng, so wie ich mich eigentlich auch nicht mehr einlassen wollte. Wenn eine Beziehung auseinanderging, war das oft so traumatisch, dass ich auf keinen Fall eine zu große Nähe mehr wollte.
Was war richtig, was falsch? Ich wollte auch nichts mehr hören und sehen, wurde ganz blind für die Lebensfreude, die ich gleichzeitig so sehr vermiste. Es war zuviel im letzten Jahr. Der Motorschaden am Auto, der Wasserrohrbruch im Haus und noch viele andere
Ereignisse. Die Tatsache, dass es anderen Menschen noch schlechter geht und ich eigentlich zufrieden sein konnte, war auch bei dem Elbhochwasser, als viele Menschen alles verloren, kein Trost für mich. Ich hatte mich verloren und versank in einem schönen Garten voll Blumen, für die ich blind war.
Mein Atemwegsinfekt zog sich hin. Ich hatte auch zu lange gewartet. Gut, was länger dauert, dauert auch länger, bis es wieder vorbei ist. Ich hätte vielleicht doch eher gute Medikamente gebraucht oder mich rechtzeitig schonen sollen und nicht immer versuchen sollen, Hürden ungeduldig zu überspringen, um mir dann auch noch ein Bein zu brechen. Dabei fiel mir der Spruch ein: „Herr, gib mir Geduld, aber bitte sofort!“ Noch besser gefiel mir aber der Spruch: „Herr, Dein Wille geschehe – aber nur über meine Leiche!“ Heute muss ich darüber herzlich lachen. Ich war wirklich dabei, mich kaputt zu machen.
Meine Mutter tauchte in meinen Gedanken auf. Sie hatte aufgegeben, bevor ihr Leben zu Ende war. Ich fühlte mich schuldig, auch wenn es ihre Entscheidung war. Aber wie hätte ich es wissen können, was tun? Meinen Eltern gegenüber war ich dankbar. Sie waren immer da, haben mich unterstützt, haben sich gut um Felix gekümmert, wenn ich arbeiten war. Mein Vater war bis zum Tod meiner Mutter so kraftvoll, gelassen, mit Rat und Tat immer für mich da. So einen starken Mann hätte ich mir gewünscht. Ich fühlte mich unendlich klein, zurückversetzt in meine Kindheit: klein, zierlich, blond, blaue Augen. Ein Kind, das springen und ins Leben hüpfen wollte. Ja, alle Probleme wurden beiseite geräumt. Meine Eltern waren immer da. Aber, wer war ich? Immer noch dieses kleine Kind, das sich nichts sehnlicher wünschte, als das alle Problem beseitigt würden? Ich fühlte mich aber wie ein Waisenkind, ohne Eltern, ohne Beistand. Ich hatte die Nase voll, hatte für die Welt keine Ohren mehr. Meine Gesundheit war immer noch nicht wieder hergestellt. Seit zwei Wochen war jetzt auch noch die Nase zu. Mein linkes Ohr war wie taub, voller Druck, so dass ich schlechter hörte. Ich sollte jetzt aber mit dem Arztbesuch nicht so lange warten wie beim letzten Mal. Dann brach sich mein Hund das Hinterbein. Weil er so jung war, konnte der Tierarzt nicht helfen und war der Meinung, das ich Lucky in die Tierklinik bringen sollte.
Schweren Herzens brachte ich „mein Baby“ nach Duisburg. Ich mußte den kleinen Kerl dort lassen. Ich fühlte mich furchtbar.
Dann ließ ich mich endlich untersuchen. Es war schon gegen Mittag. Ich erklärte meine Symptome. Ich wurde gefragt, ob die Symptome links seien. Irgend etwas überraschte mich, denn als ich wegen des Hustens einige Wochen zuvor dort war, war mir dieselbe Frage gestellt worden oder besser gesagt, dieselbe Feststellung zu dem vereiterten Zahn gemacht worden. Im Ohr war nichts zu sehen gewesen. Nur die Kieferhöhle reagierte mit Schmerzen, als sie abgeklopft wurde. Ich war neugierig geworden und fragte nach, was mit „links“ gemeint sei. Meine Ärztin erklärte mir, dass unsere linke Körperseite immer Ausdruck unserer Gefühle sei und sie sich deshalb sicher sei, dass die Beschwerden links sein müssten. Schließlich würde sie mich ja auch ein bisschen kennen, auch wenn ich nicht so oft komme und sich vieles denken könnte, auch wenn sie nicht immer etwas sagen würde.
Mir fiel ein, das da vor einigen Jahren schon einmal eine Bemerkung gefallen war über etwas, was ich nicht wahr haben wollte, aber genauso gekommen ist, wie ich es nicht wollte. Ich war irritiert.
Während das Rezept ausgestellt wurde, erzählte ich, das mein neuer Hund krank sei und sich das Bein gebrochen hatte und nun in der Tierklinik sei. Ganz ruhig fragte sie mich: „Links das Hinterbein?“ Mir kam es aber schon fast so vor, als ob das eine Feststellung war. Während Trauer und Schmerz um meinen Hund mich überkamen, erzählte ich, das dieser kleine Hund eine Hürde genommen hatte, die noch zu groß für ihn war, konnte aber kaum noch meine Tränen zurückhalten.
Ich war völlig fertig. Ich verstand auch gar nichts mehr. Ich war zu.
Dann fragte sie mich, ob ich nicht einmal auf meine innere Stimme hören wollte, wenn ich die Nase so voll hätte und
am liebsten allen etwas husten wollte. Dann war es ganz aus. Mein ganzer Schmerz brach hervor. Die Tränen, die ich zuvor noch mit einem Tuch abtropfen konnten, rannen über mein Gesicht. Mein ganzes Elend wurde mir bewusst: Welche Entscheidungen sollte ich treffen? Was sollte ich tun? Ich hatte wirklich die Nase voll, wollte meiner Situation etwas husten, am besten allen Leuten, dem Schicksal und was sonst noch. Das Schlimmste aber war, das ich meine innere Stimme nicht mehr hörte, weil meine Gefühle völlig verwirrt waren. Die Doppelsinnigkeit hatte ich zunächst nicht verstanden. Jetzt verstand ich, was mit mir los war. Ich hörte mich selbst nicht mehr, und weil das nicht ging, ging es mir so schlecht. Seit Wochen war ich auf der Suche nach einer Lösung, nach irgendeinem, wenn auch noch ganz kleinem Licht. Ich war mir aber bewusst, dass mir niemand bei meinen Entscheidungen helfen konnte, ich es aber auch selbst nicht wusste. Mir dieser Tatsache bewusst, liefen die Tränen immer mehr. Das Taschentuch war voller Wimperntusche. Wie mochte ich nur aussehen! Ich fühlte mich entsetzlich. Ich hatte Glück. Ich war die letzte Patientin, niemand würde mich sehen, wenn ich mich aus der Praxis begebe. Ich hatte noch mehr Glück. Es war Zeit da. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich hörte, dass ich glücklich sein solle, dass ich mir mein Bein nicht gebrochen hätte und dass Lucky es für mich getan hätte und er nur mein Spiegel sei. Ich war nun vollends verwirrt.
Seit einem Jahr fühlte ich mich nun wie in einem schlechten Film, in dem ich offensichtlich die Hauptrolle spielte. Was sollten diese Aussagen bloß? So etwas Verrücktes: Der Hund mein Spiegel! Aber so ganz verrückt? Nein, dann würde man so etwas doch nicht sagen, nicht in einer Arztpraxis! Was war da los, was ich nicht mitbekommen hatte? Mein Kopf drehte sich. Ich hatte mich etwas beruhigt und versuchte krampfhaft wieder klar zu denken. Es wurde aber nur verwirrter. In welchem Film war ich jetzt? Was für ein verrücktes Spiel läuft hier ab? Ich wollte wissen, was hinter den Aussagen steckte, mochte aber nicht fragen, weil meine Zeit überschritten und die Sprechstunde schon beendet war. Auf die Frage, ob ich Lust auf eine Zigarette hätte, sagte ich spontan ja. Dann fiel mir ein, dass ich keine mitgenommen hatte. Das war mir unangenehm.
Aber jetzt war ja sowieso alles egal. Der Tag war eh gelaufen. Was soll’s!
Die Zigarette tat gut. Ich beruhigte mich und versuchte meine Gedanken um das Gesagte zu ordnen und fragte, wie das alles miteinander in Verbindung stehe,. was mit den Gefühlen links sei, der Hund mein Spiegel und weshalb er sich für mich das Bein gebrochen hatte und dass das Ganze aber mir in meiner Situation nicht hilft, um zu wissen, was ich nun tun soll.
„Körper, Geist und Seele gehören zusammen. Wenn man den Körper als Ganzes sieht, steht alles miteinander in Verbindung – ist quasi in drei Dimensionen“, hörte ich. „Wer seine innere Stimme nicht mehr hört, weil die Gefühle verwirrt sind, muss mit dem linken Ohr Probleme haben und schlechter hören, weil er dann für die innere Stimme taub wird. Die Nase muss links voll und zu sein. Wenn man die Nase voll hat, wenn man auf der Gefühlsebene so voll ist, dass man überläuft und keine Luft mehr holen kann, dann ist es auch kein Wunder, einen längerfristigen Atemwegsinfekt und Auswurf zu haben, weil man jemandem oder einer Sache etwas husten will. Körper, Geist und Seele gehören zusammen! Werden dem Körper Luft, Wasser und Nahrung entzogen, geht er zugrunde. Trennen wir Geist und Seele von ihren emotionalen Wurzeln und mentalen Kontakten, beginnt der Mensch auch in einem gesunden Körper dahinzusiechen. In seinem von diesen drei Dimensionen eingeschlossenen Leben wird der Mensch von der Panik des Lebens geschüttelt.“
Ich war schockiert. Diese Worte trafen genau meine Situation, meine Tränen brachen wieder hervor, weil mir wieder klar wurde, dass mir das bei meiner Entscheidung trotzdem nicht weiterhelfen würde.
„Wir müssen lernen, vom Wissen zum Handeln zu kommen und mit unseren Lebenslügen Schluss machen. Es gibt drei Buchstaben zum Erfolg: T U N!“ „Na toll“, dachte ich – „...und wie soll das gehen?“ fragte ich.
„Das ist ganz einfach, wenn wir unsere Lebenslügen erkennen!“ wurde mir geantwortet Widerstand regte sich in mir. Ich bin immer ehrlich, versuche alles richtig zu machen, lüge doch nicht, was soll ich denn sonst noch tun?
Die Veränderungen, die jetzt kommen werden, kommen immer schneller. Wir müssen alle lernen, unsere Lebenslügen zu erkennen und unsere Vergangenheit aufzuarbeiten, alte Schmerzen, alte Denkweisen und Denkmuster los lassen. Es stehen aber für Sie jetzt nicht mehr so viele Veränderungen an. Dafür war das vergangene Jahr da. Schon bald wird Ruhe einkehren und Sie fangen dann ohnehin ganz neu an, denn die Vergangenheit ist vorbei. Das, was in den letzten Wochen zum Höhepunkt gewachsen ist, hat Sie ja beschäftigt. Sie haben um Hilfe gebeten, die Sie auch bekommen werden. Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister.
Es gibt keinen Grund zum Zweifeln, auch wenn im Moment noch alles schwierig erscheint. Das vergangenen Jahr war die Schlange, die sich häuten mußte, damit alles verändert werden kann. Wenn die Krankheit auf der Körperebene ausbricht, können wir geheilt werden. Die Schlange hat in allen Kulturen immer etwas mit Heilung zu tun. In Griechenland war die Schlange heilig, was sie in Indien immer noch ist. Heilung hat etwas mit Heiligkeit zu tun, mit „heil“ sein.
Es ist immer schmerzhaft, sich von altem Liebgewordenem zu trennen, auch wenn wir es nicht mehr mögen und es zur Gewohnheit geworden ist. Das ist ein ganz normaler Trennungsschmerz. Auch die Schlange muss sich häuten und ist dann ganz empfindsam.
Aber nur dann, nach der Häutung, kann es auch neu werden: besser, neuer, anders. Das ist Evolution und kosmisches Gesetz. Alles, was geschieht, ist immer nur zu unserem Besten, wenn wir mit Bewertungen und Verurteilungen aufhören.
Deshalb dürfen wir uns auch nicht selbst verurteilen, müssen uns selbst für unsere Irrtümer vergeben und können dann versuchen, die Wahrheit zu erkennen, um dann unsere Lebenslügen zu beenden. Das ist der heiligste Krieg, der Krieg mit uns selbst: wenn wir lernen, uns für unsere Irrtümer und Fehler zu verzeihen und uns selbst aufrichtig zu lieben. So lernen wir auch, mit anderen nachsichtig zu sein, zu verzeihen, zu vergeben, zu lieben und das Leben anzunehmen. Andere Menschen irren genauso wie wir selbst. Lebensaufgeben sind Aufgaben für das ganze Leben, bevor wir das Leben aufgeben. Wir müssen erwachen und erkennen, dass die Wirklichkeit direkt vor unserer Nase liegt: Wir können sie erkennen, wenn wir uns entschließen, unsere Illusionen zu beenden, unsere Lebenslügen zu beenden und die Wahrheit zu erkennen. Da aber für die meisten Menschen das Schlimmste, was passieren kann, die Wahrheit ist, funktionieren unsere Verdrängungsmechanismen und unsere Projektionen perfekt und meistens sehr perfide, weil wir die Wahrheit, dass wir uns geirrt haben, nicht ertragen können. Statt dessen leben wir einfach in Lebenslügen weiter. Es ist zwar völlig schwachsinnig, aber wir Menschen sind so.
Wir wollen nur sehen und hören, was wir sehen und hören wollen. Wir wollen nichts begreifen, was wir nicht anfassen können. Also verstehen wir nichts. Wir sind gefangen in einer Welt von Wünschen und Vorstellungen. Dabei ist es im Nachhinein gesehen oft ein großer Glücksfall, nicht zu bekommen, was man will und ein Unglück bekommen zu haben, was man wollte. Ich war fertig. Mein Kopf rauschte. Ich verstand nichts. Vielleicht wollte ich auch nichts verstehen und verdrängte perfekt? Das wäre natürlich auch tragisch! Nächste Woche habe ich Geburtstag, werde fast fünfzig, habe einen wunderbaren Sohn, keine materiellen Probleme, keine großartigen gesundheitlichen Probleme, wusste im Großen und Ganzen, wo ich im Leben stand, auch wenn ich im Moment ohne Orientierung war. Theoretisch hörte sich zwar alles irgendwie logisch an, auch wenn ich es nicht verstand. Ansonsten fühlte ich mich aber klar bei Verstand. Ich hörte weiter zu: „Wenn wir uns fragen, wer wir sind, können wir nicht einmal eine klare Antwort geben. Wenn wir uns fragen, woher wir kommen und wohin wir gehen, fällt uns das noch schwerer. Wir lernen, um zu leben, und wir leben, um zu lernen.“ Ich war neugierig. Ich wollte mehr wissen. Also fragte ich jetzt nach meinem Hund, was der mit der ganzen Geschichte zu tun hatte. Alles andere war ja ohnehin nicht zu lösen. Als einziges das Haus. Aber gut, das werde ich verkaufen, dann habe ich damit schon einmal weniger Probleme und bin nach all den Kosten des vergangenen Jahres wieder flüssig, und ein Haus reicht mir.
„Nun, der Hund ist ein Teil von Ihnen und damit Ihr Spiegel oder ein Anteil Ihrer Seelenenergie. Tiere, an denen wir hängen und die an uns hängen sind mit uns verbunden. Sie kennen doch die Geschichten, wo Tiere Menschen retten, über Hunderte von Kilometern wieder nach Hause finden oder haben schon von Tieren gehört, die vor Erdbeben warnen oder vor ausströmendem Gas.
Schauen Sie sich einmal an, wer sie wirklich sind. Sicher eher jemand, der in der Vergangenheit meistens Unterstützung gefunden hat,“ erklärte mir die Ärztin. Ich protestierte: „Meine bisherigen Männer hatten immer weniger gemacht als ich. Ich hatte immer mehr Arbeit. Die hatten meist am Schreibtisch ihr Geld verdient. Da wo ich Unterstützung gebraucht hätte, haben sie gekniffen und ich stand allein da.“
Sie antwortete: „Das macht nichts. Das ist eine andere Geschichte. Gehen Sie weiter zurück in die Zeit, in der Sie Ihre Prägungen
bekommen haben. Wie war das mit Ihren Eltern? Sie waren eher zierlich, blond, blaue Augen. Das sind die Kinder, die strahlen, die verwöhnt werden, denen man schneller hilft. Wir sind geprägt, diesen Kinder eher mehr abzunehmen, weil wir sie unterschätzen im Vergleich zu den dunkleren Typen, die widerstandsfähiger aussehen.
Diese Kinder suchen dann später im Leben eine Korrespondenz, weil sie diese Erfahrung bereits kennen und wiederholen wollen.
Es ist leichter, bereits Bekanntes zu wiederholen als Neues zu lernen. Wenn es aber zur Lebensaufgabe gehört, diese inneren Ängste, die vor neuen Erfahrungen im Leben stehen - also Lebenserfahrungen, vor denen wir Menschen oft panische Angst haben - überwinden müssen, müssen wir andere Erfahrungen machen. Wir können natürlich auch resignieren und in die Depression gehen. Das ist aber die Finsternis. Wir suchen also dann intuitiv die Begegnungen, die uns den nächsten Lernschritt möglich machen.
Wenn Sie also lernen sollen, sich SELBST BEWUSST zu werden und sich SELBST zu VERTRAUEN, Ihren ganzen Mann und Ihre ganze Frau erkennen wollen, müssen Sie diese Erfahrungen machen, denn Ihre Seele braucht und will diese Erfahrung, um GANZ – sprich HEIL zu werden. Sonst können wir nicht geheilt werden, werden also krank.
Uns fehlt etwas im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Sie nun Ihren eigenen Mann stehen können, es aber nicht wissen oder noch nicht bemerkt haben, aber glauben, weil sie die Wahrheit nicht erkennen, sind sie in einer Lüge, bzw. Lebenslüge, ohne dies zu bemerken. Sie sind stark, der Mann auf der anderen Seite schwach und macht nichts oder kneift. Sie machen also mehr und beklagen sich, weil Sie es nicht erkennen.
Sie sehen also: Die Wahrheit liegt vor Ihrer Nase, ohne dass Sie sie begreifen, obwohl Sie sehen, dass Sie mehr machen. Das dürfte der Grund der Seele für diese Art Ihrer Lebenspartnerwahl sein. Sie könnten Ihre Tatkraft erkennen, einen Teil, der zu Ihnen gehört. Sie empfinden das aber nicht, werden sich der Stärke nicht bewusst und müssen es als Spiegel Ihres Denkens – nämlich schwach im Außen - erleben.
Aber kommen wir zunächst auf den Hund zurück und gehen noch einmal in Ihre Kindertage.“ Mir begann etwas zu dämmern. Da konnte etwas dran sein. Martin ist so ein ganz anderer Mann, als die der Vergangenheit. Na ja, mein erster Mann – zugegeben, das war keine Liebe, das war Sicherheit. Ja, Suche nach Sicherheit. Aber dann habe ich mir doch etwas vorgemacht. Ja, das ist die Lüge!
Dann musste die Beziehung ja früher oder später enden. Die Wahrheit kommt doch früher oder später ans Licht.
Eigentlich war es ein Geschenk mit einer unangenehmen Verpackung: Ich hatte das aber nicht verstanden. An der Oberfläche betrachtet war es schlimm: Er ist gegangen. Er hatte eine andere, und ich war allein und hätte mir meiner Kraft und Stärke bewust werden können. Aber meine Eltern sind ja nach nebenan gezogen, und so habe ich mich wieder klein und schwach gefühlt.
Die Therapeutin vermutete: „Sie sind bestimmt viel draußen in der Natur gewesen, haben diese geliebt und sind draußen herumgetollt, waren ohne Sorgen und Ängste, hatten die Eltern und bestimmt eine gute Zeit. Der Hund erinnert Sie an diese Zeit. Er springt herum, tollt im Garten, macht sich keine Gedanken um Futter, Haus und Hof – kurzum: Es geht ihm so wie Ihnen in Ihren Kindertagen. Er möchte, dass Sie ganz Sie sind, so wie Sie wirklich sind: voller Lebensfreude, ohne Sorgen und Kummer.
Nun will der Hund aber schon größer und kräftiger sein als er ist. Außerdem fühlt er, dass es Ihnen nicht so gut geht und Sie dabei sind, vielleicht einen Fehler zu machen und unglücklich werden, weil sie in Bezug auf Ihre Gefühle und die Seelebene eine falsche Entscheidung treffen könnten. Er ist sich dessen vielleicht bewusst, spürt es und möchte es Ihnen mitteilen. Aber nur mit „Wau Wau“ verstehen Sie nichts. Also zeigt er es Ihnen, damit Sie SEHEN, was Sie nicht HÖREN können. Sie hören auf Ihrem Gefühlsohr Ihre innere Stimme nicht mehr. Der Hund zeigt es Ihnen also, und wie haben Sie es wortwörtlich gesagt: Dieser dumme Kerl ist noch viel zu klein, um über eine so große Hürde zu springen als darum herumzulaufen.
Jetzt sehen Sie sich im Spiegel: Mein inneres Kind hat noch nicht die innere Größe und muss noch ein bisschen wachsen und lernen und sollte jetzt innehalten, den Augenblick, das Jetzt sehen. Ich weiß noch nicht, was für mich jetzt richtig ist und werde nichts überstürzen und abwarten, schauen was kommt, nicht altklug eine Entscheidung für das Unglück treffen, sondern mir erst alles ansehen und prüfen. Wenn die Zeit da ist, werde ich eine Entscheidung treffen, wenn ich denn überhaupt eine treffen muss. In der Zwischenzeit warte ich einfach ab und wiederhole täglich nicht meinen Kummer und „springe im Garten herum“ wie der Hund.
Außerdem, was soll ich aus dieser Wiederholung lernen? Die Uhr schlägt jede Stunde anders, heißt es in Indien.
Wir müssen das Leben wie Musik begreifen lernen, und die entsteht mehr aus Gefühl und Intuition als nach Regeln.
Versuchen Sie jetzt noch einmal, Ihren Hund als Ihr Spiegelbild, als Meister und Ersatz für Ihre innere Stimme oder ihr inneres Kind wahrzunehmen“ bzw. als einen Teil Ihrer Seele, der noch etwas Angst vor dem Leben hat, aber etwas lernen möchte.“
„Wo will ich jetzt über ein zu große Hürde springen?“ fragte ich mich. „Warum nehme ich mir nicht die Zeit, dass ich meine inneren Bedürfnisse zuerst kennenlerne und herausfühle, was für mich gut ist. Warum fühle ich nicht, was ich denke? Warum schaue ich mir die Sache nicht erst einmal ganz genau an, bevor ich mir eine Bein breche? Weil meine verwirrten Gefühle mich hindern, den für mich optimalen Weg zu gehen?
Die Ärztin antwortete: „Für Ihren Hund haben Sie eine richtige Entscheidung getroffen: Die Hürde war zu groß. Was ist Ihre Hürde? Wo steht Ihnen Ihr Denken im Weg und behindert Ihr Fühlen? Der Hund war ver-rückt! Wo sind Sie, bzw. Ihr inneres Kind ver-rückt und nehmen nicht den richtigen Standpunkt ein, um die Situation, so wie sie nun einmal ist, klar und deutlich zu sehen? Wo haben Sie Denken und Fühlen vertauscht bzw. ver-rückt? Die große Anna sollte nun einmal die kleine Anna an die Hand nehmen, mit Lucky den Standort prüfen, gegebenenfalls wechseln und auf den richtigen Zeitpunkt warten. Wie fühlt sich das für Sie jetzt an?“ Ich mußte zugeben, ich war baff. Von dieser Seite, oder besser gesagt, von diesem meinen neuen möglichen Standpunkt, hatte ich das bisher noch nicht betrachtet. Es schien mir nun aber alles ganz logisch. Ich hatte kleine ängstlich Anteile in mir, die mir ganz klar sagten, was ich nicht will, dass ich Angst vor Veränderungen hatte und ein Bedürfnis nach Sicherheit auf männliche Tatkraft nach außen projizierte, weil ich dies Tatkraft bei mir nicht wahrnahm.
Andererseits, alles was ich im letzten Jahr machen musste, war viel – zu viel. Ich hätte gut Hilfe brauchen können. Aber es war ja keiner da, und in neue Abhängigkeiten, das war auch klar, wollte ich auf keinen Fall. Aber das war ja doch viel Tatkraft! Klar, ich habe immer wieder versucht, mich auf meinen Verstand zu verlassen, habe immer wieder meinen Verstand entscheiden lassen.
Und ich habe mich für Sicherheit entschieden, oder besser gesagt: Aus Angst vor Selbstvertrauen und mangelndem Selbstbewusstsein gegen mein Gefühl. Das ist die Lebenslüge! So gesehen ist es natürlich kein Wunder, warum es mir schlecht geht und überhaupt in den letzten Jahren immer schlechter. Es ist mir jetzt auch völlig klar, dass ich mich so kaputt mache. Es ist mir jetzt auch klar, warum ich krank werden musste, wiederholt, bis ich nichts mehr hören wollte, damit ich endlich Heilung bei mir selbst finde.
Ich hörte interessiert zu: „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper. Oft müssen wir erst krank werden, bis wir es begreifen, dass wir etwas ändern müssen. Dann ändert sich etwas, wenn wir bereit sind. Der Meister ist bereit, wenn der Schüler bereit ist.
Zugegeben, das ist nicht so einfach und bedarf mancher Prüfung. Zu erkennen, was wirklich wahr ist, wo wir unsere Lebenslügen und Lebensängste versteckt, verdrängt und auf andere projiziert haben, ist schwierig.
Wir erkennen leichter den Splitter im Auge des Nachbarn als den Balken im eigenen Auge. Wir können auch nicht die Welt, aber uns und unsere Welt verändern. Es ist einfacher, die Füße mit Schuhen zu beschützen, als die ganze Erde mit einem Teppich auszulegen. Wenn wir uns an die eigene Nase fassen, den Dreck vor unserer Haustüre kehren, könnte sich viel verändern. Aber alles wird zu seiner Zeit kommen. Die Sonne scheint auf alle Lotosblüten gleich. Es öffnen sich aber nur die, welche dazu bereit sind. Die anderen müssen noch wachsen und ihre Zeit abwarten.“ Ich fühlt mich voll, in der Fülle, wie man so schön sagt.
Die Sonne schien, alles war in Ordnung. Mein Bild von der Welt war anders als zuvor. Es kam mir so vor, als sei alles etwas heller, wärmer, offener. Auch in der Finsternis leuchtet das Licht, ist aber verdeckt. Ich hatte meinen inneren Frieden und floss in Gedanken voller Gelassenheit. Ich wusste, ich musste bei mir bleiben. Mein Hund war gut versorgt. Um ihn brauchte ich mir keine Gedanken machen. Ich versprach meinem inneren Kind, es an die Hand zu nehmen, bis es groß ist und immer bei ihm zu bleiben.
Ich fühlte mich ganz, alles war irgendwie so rund, mir fehlte nichts. Alles war gut, so wie es ist. Mein Weltschmerz schien aufgelöst, zuerst zumindest.
Ich werde jetzt erst einmal abwarten, obwohl ich schon fühle, wie ich mich entscheiden werde. Sicherheit gibt es ohnehin nicht. Morgen kann alles anders sein. Es ist nur gut, dass ich nicht an der Elbe wohne, dann hätte ich ganz sicher nasse Füße.
Meine Gedanken flossen, ich war wieder „am Fließen“. In Gedanken war ich schon fort. Würde nur Freude unser Leben begleiten, würden wir nie innehalten. Also erschuf Gott das Leid, das uns nachdenken lässt, damit wir begreifen, dass es in dieser Welt andere wertvolle Dinge gibt, ging es mir durch den Kopf. Aber diesmal httbe ich das Leid selbst erschaffen.
Den letzten Satz, den ich auch bewusst wahrnahm, lautete: „Nun, hören Sie wieder alles? Was machen das Ohr und die Nase?“ Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Ich staunte nicht schlecht, als ich feststellte, dass meine Nase freier war und der Druck auf dem Ohr nachgelassen hatte.